Roman
Das grüne Sofa

erschienen 2007 bei
ISBN 978-3-423-21043-0
350 S., 9,95 €
Aus Kap. 3: Mein Vater arbeitet zu Hause
Ich entscheide mich für ein Pferd, sitze in der Holzwölbung des Sattels, spüre das rissige Leder der Zügel zwischen meinen Fingern. Wir beginnen uns langsam zu drehen. Die Drehorgel hebt hoppelnd an, verfällt in ihren Singsang. Ihre Töne kommen zögernd daher, einer zieht den anderen nach sich. Sie fordern auf, versprechen, verklingen, kommen wieder. Gemächlich drehen wir uns im Kreise. Draußen gleiten Menschen und Bäume vorüber, wir tauchen ins Halbdunkel des Inneren ein, gleiten weiter unter dem Kranz schwacher Glühbirnen. Alle Tiere drehen sich mit, einige von Kindern besetzt; auch die farbigen Kutschen mit ihren Baldachinen unter geschnitzten Säulen und gerüschten Vorhängen folgen der Bewegung; ebenso der grüne Schlitten, mit bunten Blumen bemalt, die Kufen vorn wie zu einem Schiffsbug zusammengeführt. Wir kreisen und kreisen vom matt erleuchteten Dunkel des Inneren ins Helle der winkenden Zuschauer draußen und wieder hinein ins Halbdunkel und die kurze Bekräftigung einer Wunderwelt. Die Musik kreist und kreist um dieselbe Melodie. Verzaubertes Drehen, wohltuende Wehmut befristeten Glücks.
Ein zunehmendes Verschleifen der Töne kündigt die Verlangsamung des Karussells an, bis es zum endgültigen Halt kommt. Mein Vater reicht mir die Hand zum Absteigen und schlägt eine kleine Pause vor. In der Gewißheit, daß ich noch mehrmals werde fahren dürfen, schau ich nun gerne von außen zu. (S. 56)
Aus Kap. 14: Fortgang
Am nächsten Morgen unternahmen wir einen größeren Spaziergang. Ein starker Föhn rückte die Berge hinter den Wiesenhügeln wie Theaterkulissen heran, warf weiße Wolkenstreifen vereinzelt mit dramatischen Gestus über den tiefblauen Himmel, verströmte eine jahreszeitlich illusionäre Wärme. Es herrschte eine selbstverständliche Unwirklicheit, die bald von einem Wetterumschwung hinweggefegt würde. Die Katze war ein Stück Weges mitgelaufen und blieb nun zurück.
Mit einer neu entdeckten Selbstverständlichkeit faßten wir uns an den Händen, schauten uns mit vielen Spielarten des Lächelns und Lachens manchmal an. Auf einer Anhöhe erreichten wir eine gotische Kapelle, die von einer niedrigen Mauer umschlossen war. Katharina holte den Schlüssel von dem benachbarten Einödhof und ließ mich aufsperren. Drinnen im Halbdunkel unter den einfachen Gewölberippen der Ostseite hing ein hagerer Christus aus braunschwarzem, rissigem Holz am Kreuz. Das schmale, spätromanisch stilisierte, gefurchte Gesicht ließ je nach Standort, Leiden, Liebe, Güte, Hoffnung erkennen, worüber wir uns leise verständigten. Draußen herrschte eine angespannte Föhnstille, drinnen war es ruhig und kühl. Sonnenlicht fiel durch die schmalen Fenster. Als wir wieder hinaustraten, überfiel uns die Nachmittagshelle. Wir holten uns ein paar blauschimmernde Zwetschgen von dem verwilderten Baum an der Mauer.
Als wir nach Hause kommen, ist niemand da. In der aufgeräumten Wohnküche sitze ich in einer Müdigkeit, die etwas von Entrückung hat. Katharina steht vor mir, leicht an den Küchentisch gelehnt, sinnend, ausruhend. Eine schmerzhaft lustvolle Bewegung durchfährt mich, und ich beuge mich hinüber zu ihr, fasse sie um die Hüften und drücke mein Gesicht in die Höhlung unter den Rippenbögen. Gewölberippen, Umschlossenheit, ein Erlösergesicht aus weiter Vergangenheit und Katharinas Lächeln, das ich nicht sehen, aber spüren kann. Berührung und Angekommensein, die Stille der Gemeinsamkeit. Ein ungeheures Wagnis ereignet sich. Und ich fühle ein heftiges Pulsieren in mir, ein sanftes Fallen in unwahrscheinliche Tiefen früherer Lieben. Katharina streicht mir über den Kopf. Wie gut, daß es uns gibt, dich und mich. Wir wissen um die Schönheit in unseren Gesichtern. (S. 292-293)
Pressestimmen zu „Das grüne Sofa“
„Das Grüne Sofa“ ist ein fesselnder autobiografischer Roman über eine bedrohte Kindheit in der Nazizeit, zugleich die eindringliche Geschichte einer Persönlichkeitsentwicklung und ein Stück deutsche Zeitgeschichte.
Stuttgarter Nachrichten
Ein anrührender Roman, der auch mit tragisch-komischen Situationen aufwartet. Man liest langsam, möchte sich nichts von den spannenden autobiographischen Geschehnissen entgehen lassen.
Frankfurter Stadtkurier
Nazideutschland – ein heißes und trauriges Thema. Ein selbstbewußtes Kind vermittelt seine Eindrücke, etwas frech aber unheimlich liebenswert.
MDR Sputnik
„Das Grüne Sofa“ ist inhaltlich wie sprachlich ein angenehm zu lesendes Buch, sicher nicht die ganz große Litereatur, aber ebenso sicher viel reizvoller als die meisten anderen biographischen und sonstigen Romane auf dem deutschen Büchermarkt.
Radio Darmstadt: Augenweide – von Büchern und Bildern
Mit großem Sprachgefühl und viel Einfühlungsvermögen bringt die Autorin uns die Lebensgeschichte der aufwachsenden Natascha und vor allem ihre Gefühle, ihre Sorgen und ihre Stimmungen näher. Ein bewegendes Frauenschicksal, das von dem Alltag und der Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Mädchens erzählt.
Manfred Olrik, www.buchinformationen.de